Vom Glück des Stillstands. Zu den Bildern Stefan S. Schmidts
Der Marburger Maler Stefan S. Schmidt hat sich seit vielen Jahren dem Stillleben verschrieben, einer malerischen Gattung, der seit ihren Anfängen zu Beginn des 17. Jahrhunderts eher eine geringe Bedeutung beigemessen wurde. Und dennoch ist es seltsamer Weise gerade das Stillleben, das die Jahrhunderte relativ schadlos überdauert hat.
Und wohin man auch schaut, immer wieder erscheint das Stillleben in abgewandelter Form im modernen Gewand um uns den Spiegel unserer Existenz vor Augen zu halten. Womöglich erweist sich die vermeintliche Einfachheit, nämlich die Wiedergabe der dinglichen, sichtbaren, erfahrbaren und erfassbaren Welt als die eigentliche Stärke, denn der Mensch ist nunmal, (jedenfalls bis jetzt), an die Dinge gebunden; er benötigt sie zur Organisation und Bewältigung seines täglichen Lebens, auch wenn das eher beiläufig geschieht.
So begegnet uns in den Bildern Stefan S. Schmidts auf den ersten Blick eine vertraute Welt: wir sehen Dinge des täglichen Gebrauchs, die unser Leben eher unauffällig begleiten, weil ihnen jede Kostbarkeit, mithin auch jede Bedeutung fehlt. Mal haben sie eine gewisse Patina, wurden wohl nur aus Gründen der Sentimentalität aufgehoben, mal sind sie kalt und unbarmherzig zweckmäßig – der Charme eines Blechkanisters ist begrenzt und als Objekt süßer Wehmut und nostalgischer Erinnerungen ist er denkbar ungeeignet. Immer jedoch sind die Gegenstände unspektakulär, meist wertlos.
Ihre Bedeutung liegt weniger in ihnen selbst als in ihrem Zusammensein, das meist von einer fein ausbalancierten Komposition, einer inneren Dramaturgie bestimmt wird: So gibt es Haupt- und Nebendarsteller, laute, selbstbewusste Charaktere, die mit Glanz, Form oder Farbe protzen, während andere sich unterordnen, im Hintergrund bleiben, trotzig oder grazil sich zu behaupten suchen und die ihnen vom Künstler zugedachte Rolle auszufüllen suchen: Der Maler inszeniert die Gegenstände auf einer Bühne wie ein Regisseur seine Schauspieler und lässt sie die Comédie Humaine, wie er sie sieht, in immer neuen Variationen aufführen. Die Dinge bekommen so fast menschliche Qualitäten, werden zu Stellvertretern, die unsere Existenz, Verhaltensweisen und Ängste – vielleicht auch Freuden und Leidenschaften- reflektieren.
So sind die Gesten der Gummihandschuhe in der vielteiligen Arbeit „Abrakadabra“ aus 2016 höchst beredt, während eine frühere serielle Arbeit 25 Teekessel (1997) in geradezu polizeilich-strenger Profilansicht zeigt und uns vor Augen führt, dass es sich trotz offenkundiger Gleichartigkeit lohnt genauer hinzusehen, um die Unterschiede, die Individualität zu entdecken. Auch hier gibt es auffällige Typen ebenso wie bescheidene, zurückhaltendere; aber kaum einer ist ohne irgendeine Art von Verletzung, die mehr oder weniger sichtbar ist – wie bei den Menschen.
Und fast immer ist der Maler im Bild. Die Dinge reflektieren nicht nur im physikalischen Sinn ihre Umgebung, sie reflektieren auch den Vorgang des Bildermachens selbst, da die Spiegelungen den Maler bei der Arbeit zeigen und somit demonstrieren, dass Malerei ein handwerklicher, langsamer Prozess ist. Die Langsamkeit des Malvorgangs schlägt sich in der Malerei unmittelbar nieder, sie ist praktisch materialisierte Zeit. Und sie fordert diese Zeit auch bei der Betrachtung. Auf Malerei muss man sich einlassen, will man sie genießen und verstehen. Dafür wird man belohnt:
Die Stillleben Stefan S. Schmidts strahlen eine spürbare Ruhe aus, die es dem Betrachter ermöglicht, selbst zur Ruhe zu kommen, und so die Welt intensiver, bewusster wahrzunehmen. Damit werden sie zu einem Gegenpol in einer extrem beschleunigten Welt, in der keine Zeit mehr für Besinnung, Kontemplation zu sein scheint.
Sie werden zu Haltestellen für Gedanken.
R. Mutt, 2018